Entgrenzungen

Sonntag 16. Mai, 19 Uhr Glockenhaus:
Programm

Eröffnungskonzert: Grußworte der Stadt Lüneburg, Frau Bürgermeisterin Birte Schellmann

 

Karlheinz Stockhausen (*1928) Spiral für einen Solisten (1968), Werk Nr. 27
I. Version für Klarinette
  Spiral für einen Solisten (1968), Werk Nr. 27
II. Version für Klavier
Karl Gottfried Brunotte (*1958) Hypotosis … selene …
für einen Klarinettisten, einen Klavier-Schlagzeug-Spieler und elektronische Klänge (1997)
   

 

Peter W. Schatt, Klarinette
Christian Nagel, Klavier
Claus-Dieter Meier-Kybranz, Klangregie

 

Biographie:

Peter W. Schatt

geboren 1948 in Hamburg, studierte Musikerziehung an Gymnasien sowie Germanistik und Literaturwissenschaft (1. Staatsprüfung 1972, 2. Staatsprüfung 1974), Klarinette (Diplomprüfung 1972, Konzertexamen 1976) und Musikwissenschaft (1985 Promotion zum Dr. phil. an der TU Berlin). 1974 - 89 Lehrtätigkeit als Studienrat für Musik und Deutsch an Hamburger Gymnasien, Lehraufträge für Musikdidaktik, Klarinette und Methodik des Klarinettenunterrichts an der Universität Hamburg sowie den Musikhochschulen Hamburg und Lübeck. Gleichzeitig rege internationale Konzerttätigkeit vor allem mit Neuer Musik, Rundfunkproduktionen bei fast allen deutschen Sendern. Seit 1989 Professor für Musikpädagogik/Didaktik der Musik an der Folkwang-Hochschule Essen. Von 1994 bis 2002 Mitherausgeber von Musik und Bildung. Arbeitsschwerpunkte: Musik des 20. Jhs., Musikpädagogik und Musikdidaktik unter bildungs- und kulturtheoretischen, insbesondere interkulturellen sowie interdisziplinären Aspekten.

Bücher:
Exotik in der Musik des 20. Jahrhunderts. Historisch-systematische Untersuchungen zur Metamorphose einer ästhetischen Fiktion (= Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten Bd. 27, hg. v. C. Dahlhaus und R. Stephan), München/Salzburg 1986.
"Jazz" in der Kunstmusik. Studien zur Funktion afro-amerikanischer Musik in Kompositionen des 20. Jahrhunderts (= Perspektiven zur Musikpädagogik und Musikwissenschaft Bd. 18, hg. v. W. Gieseler, S. Helms und R. Schneider), Regensburg 1995.
Form und Kultur. Studien zur musikalischen Bildung (Hrsg., mit Beiträgen von Jörg Lemberg, Ortwin Nimczik, Stefan Orgass, Peter W. Schatt) (= Folkwang-Texte Bd. 11, hg. v. J. Fellsches), Essen 1995.
MusikBilder. Berührungen zwischen Musik und Malerei. Arbeitsheft für den Musikunterricht in der Sekundarstufe II, hg. v. O. Nimczik; Lehrerinformationen online unter http://www.klett.de, Leipzig 2003.
Neue Musik vermitteln. Analysen - Interpretationen - Unterricht (Hrsg., zus. mit Hans Bäßler und Ortwin Nimczik), Mainz u. a. 2004

 

Christian Nagel


wurde 1974 in Kiel geboren und begann seine musikalische Ausbildung im Alter von fünf Jahren. Von 1993-1998 studierte er an der Folkwang-Hochschule in Essen Klavier bei Prof. Catherine Vickers und Tonsatz/Musiktheorie bei Prof. Wolfgang Grandjean, seit 1995 als Stipendiat der Ernst-Jülichmanns-Stiftung. Teilnahme an Kursen bei Leonard Stein und Ratko Delorko (Klavier), Norman Shetler und Axel Bauni (Liedgestaltung). Anfang 1999 legte Christian Nagel die Künstlerische Reifeprüfung Klavier sowie die Staatliche Musiklehrerprüfung in den Hauptfächern Tonsatz/Musiktheorie und Klavier mit der Note "sehr gut" ab.

Die musikalischen Aktivitäten des jungen Musikers umfassen eine denkbar große Bandbreite. Neben dem klassisch-romantischen Repertoire widmet sich Christian Nagel besonders der Interpretation zeitgenössischer Klaviermusik. Mit dem Schlagzeuger Michael Pattmann erhielt er als Duo "AnSchlag" mit zeitgenössischer Musik für Schlagzeug und Klavier den Folkwang-Förderpreis.

Seit 1995 ist Christian Nagel künstlerischer Leiter der "Kettwiger Kammerkonzerte", in der er der Musik durch stilübergreifende Betrachtungen auf unterhaltsame Weise vermittelt. Spannende Projekte und ungewöhnliche Programme zeugen von Ideenreichtum und Kreativität, die er nicht zuletzt in eigenen Kompositionen und Improvisationen unter Beweis stellt. Aus seiner Feder stammen Chor- und Orchesterwerke sowie zahlreiche Klavierwerke: "Sonate" (1993), "Symphonie für 2 Klaviere" (1997), "Gemischtes Doppel" (1996), "Movements" (1999), "Begegnungen" (2001), "Farbklang" (2001) und andere.

Seit 1999 arbeitet Christian Nagel als Repetitor des Philharmonischen Chores Bochum und beim Universitätschor Essen und gastiert regelmäßig am Aalto-Theater Essen und bei den Bochumer Symphonikern. Weitere Einstudierungen und Gastauftritte am Theater an der Ruhr Mülheim, Theater Oberhausen und Schauspielhaus Bochum.

Mit dem "Good News Gospel Projekt" ist Christian Nagel seit 1999 deutschlandweit mit Projektchören und als Leiter von Chorworkshops (zusammen mit Axel Chr. Schullz) unterwegs. Der Kammerchor "ChorZwei" widmet sich unter seiner Leitung der alten und neuen geistlichen Musik.

Mit der Organisation "KulturAufRuhr e.V." ist Christian Nagel zudem weltweit als musikalischer Botschafter unterwegs, pflegt Zusammenarbeit und Austausch mit Musikern und konzertierte bereits in den USA, Taiwan, Südkorea und im europäischen Ausland.

Christian Nagel lebt als freischaffender Musiker in Essen.

 

Karlheinz Stockhausen


Komponist (* 22. August 1928 in Mödrath bei Köln). Bis 2004 komponierte er 313 Werke, veröffentlichte TEXTE zur MUSIK (Bände 1–10 Stockhausen-Verlag), eine Serie Hefte mit Skizzen und Erläuterungen eigener Werke. Die ersten 36 Partituren wurden bei der Universal Edition Wien verlegt, alle anderen im 1975 gegründeten Stockhausen-Verlag (51515 Kürten, Faks. 02268-1813), der auch seit 1991 in einer Stockhausen-Gesamtausgabe 116 Compact Discs veröffentlichte. Alle Partituren, Bücher, Videos und CDs können direkt beim Verlag per Post bestellt werden. Seit 1998 finden jährlich die Stockhausen-Kurse Kürten für Komponisten, Interpreten, Musikwissenschaftler und Gasthörer statt. Stockhausen komponiert seit 1977 das musikszenische Werk LICHT, Die sieben Tage der Woche. Bis 2003 waren 5 Tage szenisch uraufgeführt (Mailänder Scala 1981 DONNERSTAG aus LICHT, 1984 SAMSTAG aus LICHT, 1988 MONTAG aus LICHT, Oper Leipzig 1993 DIENSTAG aus LICHT, 1996 FREITAG aus LICHT). Die vier einzelnen Szenen vom MITTWOCH aus LICHT (WELT-PARLAMENT, ORCHESTER-FINALISTEN, HELIKOPTER-STREICHQUARTETT, MICHAELION) wurden zwischen 1996 und 1998 konzertant uraufgeführt, die szenische Uraufführung steht noch aus. Die Uraufführung des ersten Teiles vom SONNTAG aus LICHT, LICHTER – WASSER (SONNTAGS-GRUSS), für Sopran, Tenor und Orchester mit Synthesizer dirigierte Stockhausen im Oktober 1999 bei den Donaueschinger Musiktagen. Die Uraufführung von ENGEL-PROZESSIONEN (2. Szene vom SONNTAG aus LICHT) für Chor a cappella sang der Holländische Rundfunk-Chor am 9. November 2002 in Amsterdam, die Uraufführung von HOCH-ZEITEN (5. Szene vom SONNTAG aus LICHT) mit 5 Chor- und 5 Orchestergruppen des WDR-Köln fand am 2. Februar 2003 in Las Palmas statt. Die Uraufführung DÜFTE – ZEICHEN (4. Szene vom SONNTAG aus LICHT) für 7 Singstimmen, Knabenstimme, einen Synthesizer bei den Salzburger Festspielen war am 29. August 2003. LICHT-BILDER vom SONNTAG aus LICHT wurde als letztes komponiert und am 31. Dezember 2002 in Kürten beendet. LICHT-BILDER ist ein Auftragswerk des C.C.M.I.X. in Paris, und wird am 16. Oktober 2004 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. LICHT mit den Sieben Tagen der Woche umfaßt circa 29 Stunden Musik: DONNERSTAG aus LICHT 240 Minuten; SAMSTAG aus LICHT 185 Minuten; MONTAG aus LICHT, 278 Minuten; DIENSTAG aus LICHT 156 Minuten; FREITAG aus LICHT 290 Minuten; MITTWOCH aus LICHT 267 Minuten; SONNTAG aus LICHT 298 Minuten. Bereits die ersten Kompositionen der »Punktuellen Musik« wie KREUZSPIEL (1951), SPIEL für Orchester (1952) und KONTRA-PUNKTE (1952/53) brachten Stockhausen internationale Berühmtheit. Seitdem werden seine Werke von den einen aufs äußerste bekämpft und von den anderen verehrt. Wesentliche Errungenschaften der Musik seit 1950 sind durch seine Kompositionen modellhaft geprägt worden: Die »Serielle Musik«, die »Punktuelle Musik«, die »Elektronische Musik«, die »Neue Schlagzeugmusik«, die »Variable Musik«, die »Neue Klaviermusik«, die »Raummusik«, »Statistische Musik«, »Aleatorische Musik«, »Live-elektronische Musik«; neue Synthesen von »Musik und Sprache«, eines »Musikalischen Theaters«, einer »Rituellen Musik«, »Szenischen Musik«; die »Gruppen-Komposition«, polyphone »Prozeß-Komposition«, »Moment-Komposition«, »Formel-Komposition« bis zur gegenwärtigen »Multiformalen Komposition«; die Integration ‘gefundener Objekte’ (Nationalhymnen, Folklore aller Länder, Kurzwellenereignisse, »Tonszenen« usw.) in einer »Weltmusik« und einer »Universalen Musik«; die Synthese europäischer, afrikanischer, lateinamerikanischer und asiatischer Musik in einer »Telemusik« usw., die vertikale »Oktophone Musik«. Von Anfang bis heute ist seinem Werk eine Bestimmung als »geistliche Musik« zu eigen, die nicht nur in Kompositionen mit geistlichen Texten, sondern auch in den anderen Werken über »Oberton-Musik«, »Intuitive Musik«, »Mantrische Musik« bis zur »Kosmischen Musik« in STIMMUNG, AUS DEN SIEBEN TAGEN, MANTRA, STERNKLANG, INORI, ATMEN GIBT DAS LEBEN, SIRIUS, LICHT immer deutlicher wird. In einem von Stockhausen entworfenen Kugelauditorium wurden während der Weltausstellung Expo ’70 in Osaka, Japan, mit 20 Instrumentalisten und Sängern an 183 Tagen 51/2 Stunden täglich die meisten bis 1970 komponierten Werke Stockhausens für über eine Million Zuhörer aufgeführt. Stockhausen ist das Beispiel par excellence des Komponisten, der nahezu alle Uraufführungen seiner Werke selbst dirigiert oder mitgespielt oder als Klangregisseur geleitet und in unzähligen modellhaften Aufführungen und Tonbandaufnahmen in allen Ländern realisiert hat. Außer mehreren Gastprofessuren in der Schweiz, in USA, Finnland, Holland, Dänemark wurde er 1971 zum Professor für Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik Köln, 1996 zum Ehrendoktor der Freien Universität Berlin, 2004 zum Ehrendoktor der Queen’s University Belfast ernannt. Er ist Mitglied von 12 internationalen Akademien der Künste und Wissenschaften, seit 1988 Ehrenbürger der Gemeinde Kürten, wurde Commandeur dans l’Ordre des Arts et des Lettres, erhielt viele Schallplattenpreise und Auszeichnungen, u. a. das Bundesverdienstkreuz I. Klasse, den Siemens-Musikpreis, die Picasso- Medaille der UNESCO, den Verdienst-Orden des Landes Nordrhein-Westfalen, 7 Musikeditionspreise des Deutschen Musikverlegerverbandes, den BACH-Preis Hamburg, den Kulturpreis Köln, und 2001 den POLAR MUSIC PRIZE mit der Laudatio: “Karlheinz Stockhausen erhält den Polar Music Prize des Jahres 2001 für die Karriere eines Komponisten, die durch makellose Integrität und nie endende Kreativität gekennzeichnet ist, und dafür, daß er seit 50 Jahren an der vordersten Front der musikalischen Entwicklung gestanden hat.”
aus: http://www.stockhausen.org/

Hypotosis ... Selene...

Das Zusammenspiel der Akteure (Aktoren): Spieler/Instrumentalisten und Techniker/Klangregisseure organisiert sich nach der kommunikativen Praxis (Paul Watzlawick: "man kann nicht nicht kommunizieren"). Im Wir/Miteinander aller Beteiligten entsteht eine klangliche Kommunikation zwischen den Polen Trieb (Wille - Vorstellung) und Umwelt (Klang, Textur) durch eine extreme Verdichtung (Trieb-Regung und künstlerisch artifizielle Symbolisierung) und die Zuspitzung auf ein maximal komplexes, gleichwie >sichtbar vor Augen< präsentes Klangereignis und -erzeugnis hin. Die Idee der Synästhesie (Georg Friedrich Händel: "meine Seele hört im Sehen") modelliert die Musik auf der Basis von Pluralität und Leibbezogenheit (Wolfgang Rihm: Komponieren ist Körperlichkeit) zur erweiterten Kunstform (Peter W. Schatt: Geste - Szene - Interkulturalität) mit Außensensoren auf andere Künste gerichtet (- Michel Foucault, Ästhetik der Existenz).

Der kompositorische Prozess äußert sich als Vorstellungs-Bild eines erkennenden Subjekts: eine Synthese aus der Ästhetik von Klangsymbolen (akustisch und notiert-visuell) und einer sinnfälligen quasi optisch wahrzunehmenden Spiegelung der konkreten instrumentalen Klangbilder im elektronischen Panorama konstituiert die multidimensionale Existenz der gesamten Komposition (Tilmann Moser: Kombination von Regression, Energie/Synergie, Aktion/Interaktion, Aufspaltung der Objekte und Neubeginn bei idealer Akkomodation). In der schöpferischen Natur (Matthias Matussek: "Idee, die sich um Wirklichkeit bemüht") sind - aus der Sicht der Chaosforschung - nichtlineare chaogene Erscheinungsformen zu beobachten. Im Verlauf der Komposition (a. Entstehung/ Genese, b. Wiedergabe/Reproduktion) kristallisiert sich evolutionär ein Regelsystem chaotischer Materie aufgrund von Rückkoppelungen heraus (Alexandre Dumas: "nur ein Vergleich eines Zustands mit einem anderen, weiter nichts"). Jenseits von Mythologie definiert die musikalische Prozession und Metamorphose eine infinite Spiegelung (Gerhard Staguhn: "im Grunde gibt es die Welt nicht, es gibt unendlich viele Welten"), die kompositorische Absicht zielt auf formale Erweiterung und Grenzüberschreitung/Transition (Klaus Kinski: "wer seinen Horizont erweitert, der verkleinert den Himmel").

Die Rezeption einer solchen Ton-Kunst widersteht oberflächlichem Zeit(un)geist und seiner verhängnisvollen mentalen Dilatation (Friedrich Nietzsche: "bei der ungeheuren Beschleunigung des Lebens wird Geist und Auge an ein halbes und falsches Sehen und Urteilen gewöhnt"). Die physische Verlorenheit menschlicher Existenz in einem Unendlichen (in einer Eskimo-Legende jagt und fängt der Mondgott Igaluk die Sonne) zeitigt "Unbehaustheit" (Immanuel Kant) und "keine Heimat haben in der Zeit" (Rainer Maria Rilke), beweist die Uchronizität von dieser Musik: "Der Gesang ist und ist nie - nachts spannten sich die Galaxien und zwanzig Milliarden Jahre legten ihre Tantaluskrallen an den Hals - mächtige einzigartige Pneumonien (- Arnulf Rainer: "Gestaltungsekstase"), und der Mensch musste in der brüllenden Stille (Antinomie des Zen-Buddhismus: Musik als "donnerndes Schweigen") die Linie des Falles des Engels zerteilen und ein logisches Urteil diktieren über ein Wüten, das längst abgeklungen war (Luc Ciompi: "Affektlogik" - Theorie der schizophrenen Verrückung) ... Und es gibt keine Worte und hat sie nie gegeben - Parasiten in der Emulsion des Gehirns" (Miroslav Holub).

Musik wird zum "Hörbild" in rhetorischer Grundsituation (- Dieter Schnebel: "MO-NO, Musik zum Lesen") und "Denkbild" (José M. Delas). "Die synästhetische Wahrnehmung des Visuellen in Kombination mit auditiven Eindrücken setzt neue Assoziationen frei, deren Interpretation individuell ist, da die Wahrnehmung des Einzelnen nicht nur subjektiv, sondern auch relativ ist" (Tilman Küntzel).

Sinn des Komponierens heißt hier, phonetische "Sprachfetzen aus dem gegenwärtigen Moment heraus neuzustammeln" (Wolfgang Rihm) und "die ursprüngliche Unordnung wiederherzustellen" (Paul Wühr). Der musizierende Mensch verarbeitet als lebendes Wesen (in den Feuerbach-Thesen von Karl Marx als "kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum" bezeichnet) beharrlich alle Akte von (Selbst-)Zerstörung (Mensch als >schweres Kind< in Grimms Märchen; Selbsterfahrung des Menschen in einer "Urerkenntnis" bei Schopenhauer). Die Partitur gleicht als ein Ganzes einer im Lichte zu entziffernden Geheimschrift (Licht-Metapher bei Arthur Schopenhauer: "im unendlichen Raume zahllose leuchtende Kugeln ..." und in der Schöpfungsgeschichte: "das größere Licht, dass es den Tag beherrsche, und das kleinere Licht, dass es die Nacht beherrsche" - Mond, Luna, Sele¯ ne), die Realisation der Partitur erfolgt sowohl im Entstehen der Komposition selbst als auch im klingenden Akt der Reproduktion/Destruktion (D. W. Winnicott: "konkretistische Verselbständigung von Begriffskomplexen").

Eine spezielle musikalische Innenarchitektur (Helmut Lachenmann: "Interieur") wird >akustisch sichtbar<: Der gesamte Klangraum besteht aus Klangfarbe und Klanghelligkeit. Die individuelle Kompositionsweise (Ordnung von Formprozess und Funktionsablauf in Material, Proportion, Detail, Atmosphäre) begründet unterschiedliche Hör- und Sichtweisen der komponierten Struktur/Faktur bei Spielern und Rezipienten. Das Wesen der Klangwelt als Heimat des Komponierens im Areal der Schwingungen erschließt sich von innen her (Novalis: "nach innen führt der geheimnisvolle Weg" im Roman "Heinrich von Ofterdingen"). Im Innern der Persönlichkeiten (Interpreten) identifiziert sich Leib mit Willen, der Mensch erkennt (sich) als leibliches Individuum (Gidon Kremer: "im Innern der üppigen Person eine sehr zerbrechliche Seele" - Arthur Schopenhauer: "Wir haben von den Dingen keine andere Kunde als durch Bilder in unserem Kopfe").

Alle musikimmanenten Phänomene (- "visible music" in nordamerikanischer Avantgarde) bilden die Erscheinungswelt der Musik (Friedrich Nietzsche: Kunst als schöner Schein rettet Realität durch Re-Inszenierung derselben). Diese erfundene Wahrheit erscheint illusionär (Ludger Brümmer: "Knall der implodierten Zeit"), traumhaft unwirklich und irreal: "Es ist die Maja, der Schleier des Truges, welcher die Augen der Sterblichen umhüllt" (altindische Weisheit). Die extensive Materie (René Descartes: res extensa) der realen Komposition (Lachenmann: "Entwerfen und Präzisieren der Klang- und Bewegungszusammenhänge") entspringt einer inspirierten Imagination des Komponisten: Musik als Vorstellung (Decartes: cogitatio) "hindurchgegangen durch die Maschinerie und Fabrikation des Gehirns, eingegangen in deren Formen, Zeit, Raum und Kausalität" (Harry Mulisch: Unendlichkeit in endlicher Form), dargestellt/projiziert "als ausgedehnt im Raum und wirkend in der Zeit" (Schopenhauer), komprimiert zur Intensivform (Ortwin Nimczik: "radikale Materialbeschränkung, Elementarisierung und Reduktion der vielschichtig komplexen Verläufe").

Das griechische Wort Hypotosis (lateinisch "tirata") bezeichnet ein hervorgehobenes formgebendes musikalisches Element, als Klangfigur (wobei Figur als ästhetisierte Gestalt zu deuten ist) korreliert sie mit individuellen Bewegungsmustern (Wahrnehmung, Intuition, Reaktionsbereitschaft). Selene (griech. für "Mond", lat. "luna") wird als Synonym verstanden: "Ich hasse Sternenlicht, dies ewige Einerlei - nein, nicht den Mond, ein helles Zifferblatt seh' ich ..." (Ossip Mandelstam).

Die multimediale Grundkategorie (Friedrich Spangemacher: "im Hörfunk kaum noch abbildbar") einer kreativen Ästhetik (Moshe Feldenkrais): "Fühlen, Wahrnehmen und die Suche nach Leichtigkeit werden zu Lehrmeistern des Handelns") wohnt bereits dem Plan der Komposition inne: "intertextuelle Relationen zwischen ästhetischen Produkten (charakteristische Merkmale der Komposition an sich) in Verbindung mit der methodischen Idee von Kontextualisierung (Architekturmodell Klang ÷ Textur) in der Dimensionierung einer Perspektive" (Peter W. Schatt). Kants unerkennbares Ding an sich wird determiniert als dunkler Hinter-Grund-Klang (- Elias Canetti: die Blendung) der sich erzeigenden, sich entäußernden tonkünstlerischen Natur. Unerklärlicher Wille ist in Naturkonstanten festzustellen: Gravitation - chtonische Erdenschwere, Magnetismus/Elektrizität ' elektronische Musik als irreales Nachtlicht und Aureole des Instrumentalklangs (' York Höller) wie ein "Gehirnphänomen" (Schopenhauer).

Koinzidenz (Cusanus): Bei aller Zersplitterung der Klanglandschaft in Textur und Tektonik sowie einer Simulation des Instrumentalklangs in der synthetischen elektronischen Musik symbolisiert die nachtblinde Entstellung den Stillstand künstlicher (Un-)Musik als "totbunte Bilderscheinwelt" (Silvo Lahtela). Der mondsüchtige Musikmüll (Paul Celan: "schmerzlich-stummes vibrato") avantgardebesessener Klanggesten in "Gegenzeit" (Boris Chasanow) kollabiert betäubend stumm gemäß der indianischen Sentenz: Stille, die aus dem Flüstern von Tausenden von Geistern besteht (Lachenmann: "... weil wir in einer sprachlosen Gesellschaft leben, die ihr differenziertestes Verständigungsmittel untauglich gemacht hat" - Hölderlin: "ein Zeichen sind wir, deutungslos, schmerzlos sind wir und haben fast die Sprache in der Fremde verloren").

Die Simulationstheorie (Verschmelzen von Sein und Schein; Rudolf Frisius: "Klangzeichen/sublimierte Klangspuren der Aktionen") ist auskomponiert vor Augen und Ohren der Rezipienten (Lahtela: "Zeichendämmerung"). Eine angenommene Hyperrealität der kompositorischen Vorstellung (tatsächliche Entitäten konstituieren und illustrieren ein Abbild und nicht umgekehrt) gestaltet die Partitur als >semiotisierte Welt< (das Phantombild ist immer schon vorhanden), Komplexität wird zur Texttheorie einer "Ruinenästhetik" (Reinhold Urmetzer). Die Bildhaftigkeit (Pierre Schaeffer: "im Kopf des Rezipienten entstehen die musikalischen Objekte") der Klangrede (Lachenmann: "Rufen in schalltote Räume") wächst aus einem mehrdeutigen genuin musikalischen Kontext heraus (nicht außermusikalisch programmatisch!).

Material und Inhalt sind vorrangig behandelt gegenüber dem äußerlichen Gleißen eloquenter Formelhaftigkeit (' Goethe, Schelling). In der hermeneutischen Perspektive des Rezipienten, in welcher das Phantombild das Phantom selbst eliminiert, kommen die Urformen musikalischer Prozesse (Janwillem van de Wetering: "alle Bewegung ist illusionär ... vom Leben zum Tode") als Innen(an)sicht in schlichter direkter Authentizität des imaginierten Hörens hervor, stilles Erhören einer Zusammenballung unberührter kreativer Energie. Der Mond steht für den typisierten (U)topos des diffusen Klanglichts gänzlich ohne die Heimeligkeit des Chorals "Der Mond ist aufgegangen" oder die romantisierende Sicht bei Goethe oder Eichendorff (Heiner Müller: "der Rest ist Lyrik"). Dagegen wirft die schonungslos offene Realität einer lebensfeindlichen Nachthelle (- Schubert) in der strapaziösen Astronautik des Apollo-Raumfahrtprogramms "ein fahles Licht auf eine sich selbst in Frage stellende, von Gegenwart überschattete Illusion der Vergangenheit" (Rudolf Frisius) - phonetische Mitteilung "linear durch den apokalyptischen Wortschwall geführt" (Claudia Schülke) bricht ab und verendet "lautlos im Weltraum" (Stanley Kubrick). Zurück bleibt tödliche Stille ... ... ... Karl Gottfried Brunotte