Elektroakusitsiche Musik vom ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe)

 

 

Programm Freitag, 30. Mai, 22 Uhr Glockenhaus

Ludger Brümmer -> Thrill <- /Le temps s’ouvre (1999)
Ludger Brümmer Inferno der Stille (2000)
Michael Edwards
anonymous obvious (2000, 12´54´´)
(aka several instrumental structures to annoy ludi)
for 4-channel tape

 

http://www.zkm.de/

-> Thrill <- /Le temps s’ouvre (1999) -> Thrill <- Musik: Ludger Brümmer Produziert am ZKM Karlsruhe Le temps s’ouvre Bildkomposition: Silke Braemer Computeranimation: Braemer/Brümmer Darsteller: Sun-Ju Kim Magali Sander-Fett Produziert von INTERARTES Essen

-> Thrill <- ist eine ungewöhnliche musique concrete: Seine Klänge sind in einem Computer, also synthetisch erzeugt worden. Trotzdem entstammen die Klänge der Logik der uns umgebenden Wirklichkeit, da sie den newtonschen Gesetzen folgen, die die Wechselwirkung zwischen Energie, Bewegung und Geschwindigkeit beschreiben. Dementsprechend können alle vorkommenden Klänge als natürlich kategorisiert werden. In Folge dieses engen Verhältnisses zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität sind die Hörer in der Lage, die meisten Klänge mit bekannten Phänomenen zu vergleichen: Die Klänge scheinen mit Materialien wie Holz oder Metall erzeugt worden zu sein, die gezupft oder mit einem harten oder weichen Schlägel angeschlagen worden sind. Die Klänge sind mit der Software »Genesis« (entwickelt im Institut ACROE/IMAG, Grenoble von Claude Cadoz, Annie Luciani und Jean-Loup Florens) erzeugt worden. Mit »Genesis« werden virtuelle Objekte gebaut und in Schwingung versetzt; die Schwingungen werden aufgezeichnet und als Klangdatei über die Lautsprecher abgespielt. Den mit »Genesis« entwickelten Tönen wurden mit Hall und Echo eine Räumlichkeit und mit Stretching und Tonhöhenverändungen klangliche Skalierbarkeit hinzugefügt, um sie kompositorisch verwenden zu können. Als Resultat dieser Bemühung, physikalische Bedingungen modellhaft zu reproduzieren, entstehen als natürlich charakterisierbare Töne, die jedoch manchmal fremdartig und bekannt zugleich erscheinen. Das Video Le temps s’ouvre entstand als eigenständiges Projekt zur Musik von -> Thrill <-. Die Besonderheit der Software »Genesis« besteht nicht nur in der Klangerzeugung mit Hilfe physikalischer Modelle, sondern auch in einer Visualisierung der entstehenden energetischen Prozesse: Die durch einen Energieimpuls ausgelöste Bewegung erzeugt in der daraus entstehenden Animation ein Potential außergewöhnlicher Bewegungsqualitäten. Durch ihre physikalisch basierte Systematik (physical modelling) weckt sie Assoziationen zu natürlichen Bewegungsphänomenen. Die Neutralität der Animation findet eine Interpretation durch den stark expressiven Charakter sich bewegender menschlicher Körper und umgekehrt. Dabei entwickeln sich einerseits Momente des Zusammenspiels, der Ähnlichkeit und Übereinstimmung, in denen sich die Bewegungsqualität der beiden Elemente gegenseitig verstärken. Andererseits befinden sich die jeweiligen Bildsprachen und die Bewegungsqualitäten zeitweise in größter Divergenz. Das Außergewöhnliche an dem Projekt ist neben der Zusammenführung von physikalisch modellierten Animationen mit realen Bewegungen die Uniformität des Gestaltungsprozesses von Klang und Animation: Auge und Ohr werden durch das gleiche Medium, die physikalischen Modelle, erreicht. Das Modell ist die uniforme Formulierung der Gestalt, nur das Medium Bildschirm oder Lautsprecher entscheidet darüber, welche Art der Wahrnehmung erzeugt wird. L. B. / S.B.

 

Inferno der Stille (2000) Musik: Ludger Brümmer Produziert am ZKM Karlsruhe

Inferno der Stille ist ein Kompositionsauftrag von Folkmar Hein, Direktor des elektronischen Studios der TU Berlin, und entstand am ZKM. Es stellt mit seiner acht-kanaligen Variante, 48 kHz Sampling Rate und 24 Bit Auflösung das technisch aufwändigste Werk meines Schaffens dar. Die Klänge wurden direkt in ein acht-kanaliges Format synthetisiert, so dass sich schon kleinste Klangpartikel in einer differenzierten räumlichen Auflösung präsentieren können. Die stark granulierten, zerstückelten Klangstrukturen wurden direkt in den von den acht Kanälen geschaffenen Raum synthetisiert und platziert, resultierend in einem besonderen Raumeffekt, der durch die unterschiedliche Lokalisation der Klangpartikel entsteht. Die benutzten Klangpartikel entstammen dem »Introitus« von Mozarts Requiem; zusätzliche Metallklänge wurden mit physikalischen Modellen entwickelt und mit rekursiven Methoden zu komplexeren Strukturen verdichtet: Mit einem bestimmten Algorithmus werden die Klangpartikel in Tonhöhe, Dauer und Zeitstruktur angeordnet und in ein Soundfile geschrieben. Dieser Soundfile dient im nächsten Arbeitsgang als Quelle fürden gleichen, vorher benutzen Algorithmus und resultiert in einer neuen Klangstruktur. Diese Methode der rekursiven Anwendung eines Algorithmus erzeugt Klangstrukturen mit stark selbstähnlichen Partikeln. Aus diesem re-iterativen Prozess entwickelt sich eine Fugenstruktur, die sich entweder verdichtet oder ausdünnt. Solch eine Fugenstruktur wird sehr deutlich, wenn ein Klangpartikel lang genug ist und dadurch vom Hörer identifiziert werden kann. Es entstehen mal mehr, mal weniger dichte harmonische Felder, die ihrerseits den Prozess beeinflussen, dem die Samples unterzogen werden. Gestalten erklingen, die eindeutig dem Requiem entstammen, sich aber in völlig anderem Kontext befinden. Die erneuernde und verwandelnde Wirkung der benutzten Algorithmen auf die Klanggestalten Mozarts ermöglicht es, diese vexierend zwischen dem Requiem und dem neuen algorithmischen Kontext hin- und herzuhören. Das Fragmentieren der Klangpartikel glich dabei einem Ausleuchten oder einer Vergrößerung, die die Wirkung des »Introitus« in Gedanken einerseits verstärkte, andererseits erneuerte. Meine Arbeit war es, in einer Art Dialog zwischen den ursprünglichen Eigenschaften des Materials und den eigenen Ideen eine neue Gestalt zu schaffen. Das Material begann, eine eigene Aura zu entwickeln und aus dem Requiem hinauszuwachsen. L.B.

Biografie Ludger Brümmer

Ludger Brümmer (geb. 1958) studierte Komposition bei Nicolaus A. Huber und Dirk Reith an der Folkwang Hochschule Essen. Er arbeitete als musikalischer Leiter am Theater und komponierte die Musik für die international aufgeführten Ballette "Ruhrort" (Susanne Linke Kompanie) und "!Tristan und Isolde!" (Nederlands Dans Theater, Den Haag), Choreographie Susanne Linke. Seit 1996 arbeitet er mit dem Installationskünstler und Architekten Christian Moeller zusammen u.a. für Ausstellungen in Tokio, Lissabon und im Science Museum London. Von 1991-1993 war er DAAD Stipendiat am "Center for Computer Research in Music and Accoustics", an der Stanford Universität Kalifornien. Er setzt die im CCRMA begonnene Arbeit am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) Karlsruhe und am Institut für Computermusik und elektronische Medien (ICEM) der Folkwang Hochschule Essen fort. Unter anderem ist er Donzent bei den Darmstädter Frühjahrskursen 2000/01/02. Zwischen 2000 und 2002 arbeitete er als Research Fellow an der Kingston University London und war von April 2002 Professor für Komposition am Sonic Art Research Centre in Belfast. Seit April 2003 leitet er das Institut für Musik und Akustik im ZKM. Er erhielt den "Folkwangpreis", WDR Preis, "Busoni" Preis, Goldene Nica der "Ars Electronica" vom ORF dessen Jurymitglied er seit 1995 und 1996 war, einen Preis beim "Luigi Russolo" Wettbewerb eine Ehrenvolle Nennung beim "Stockholm Award" 1995, den Grand Prix de Bourges 1997 sowie 2001 und gewann den ersten Preis beim Rostrum der UNESCO für elektronische Musik und eine Nominierung beim Internationalen Videokunstpreis des Südwestfunks und des ZKM, 2. Preis beim Prix Ars Electronica 1998, sowie Ausstellung im renomierten Science Museum London für mit Installationen von Christian Moeller dessen musikalischen Part Brümmer realisierte.

anonymous obvious (aka several instrumental structures to annoy ludi) for 4-channel tape Michael Edwards Institute for Music and Acoustics, 2000 Duration: 12'54''

"anonymous obvious (aka several instrumental structures to annoy ludi)” is based around a prototype of an instrumental composition algorithm (called slippery chicken) that I am in the process of developing. Using instrumental samples, the algorithm generated short musical structures (and will generate longer ones); complete little pieces even, that are surprisingly convincing and somehow musically logical. They are, however, also rather anonymous, that is, to me they sound like a generic form of contemporary classical music that lack my own musical characteristics. Hence the "anonymous" part of the title. Hence the algorithm is still under development. The "obvious" part is the deliberate and prominent use of rather hackneyed musical devices, such as fade-in and fade-out, in combination with generically beautiful electronic sounds (actually processed vibraphone and marimba in this case). Beginning after about two minutes, the obvious and foreseeable structure fulfils its natural tendency to become very loud but then surprises (I hope) in simply staying at this extreme volume and thwarting its small, beautiful beginnings with its transformation into a very weighty and rather threatening adult sound form. The idea then is to make something interesting out of what was initially obvious. Arriving at the subtitle, I must first explain that "anonymous obvious” was created during the summer of 2000 whilst I was in residence at the ZKM, as made possible by an artist's stipend from the ZKM. The composer Ludger Brümmer (Ludi) was also at work there and, being old friends, we had many conversations, some of which were even about music, in particular the sorry state of electroacoustic (tape) music within the already marginalised field of contemporary classical music. Disappointment was expressed over the domination of this field by mainly instrumental composers, leaving little room for the specialists and therefore the development of structural paradigms of a purely electroacoustic nature. And there was I, one of the supposed specialists, working on instrumental composition algorithms that I was then using in a tape piece. True to my nature, I decided to flaunt this fact rather than hide it, much to Ludi's chagrin. So much for the subtitle. In my defence I must say that these obviously and self-consciously instrumental structures represent what may be called ideal, or even impossible ensembles, and that is what makes them so appealing to me. They are ideal in that every sound, no matter how quiet (the tremolo bowing of a violin tailpiece for instance) or loud (a cymbal crash) is heard in perfect consort, something that would be impossible when performed live, despite the closest attention paid to discrete amplification. These structures are also not alone, as many of the sounds are more purely electroacoustic in their nature: granulated, splintered, transposed, filtered, delayed, hurried, deep-fried, burned sounds from samples of many and varying types, from the purely instrumental (bass and contrabass clarinet, violin, horn, prepared piano, various percussion instruments) to the purely ambient (café noise, a catholic mass, mountain air...) As with all of my pieces which involve computer processed sound, the transformations were carried out using signal processing algorithms developed by myself using the Common Lisp Music (CLM) software by Bill Schottstaedt of CCRMA, Stanford University. The hundreds of sounds created by the automatic and non-automatic processes alike were sorted, ordered, described and stored in an SQL database that I developed for this purpose, and which was then queried according to various structural criteria to produce a track list for the mixing program (ProTools LE). All was accomplished on Macintosh G3 and G4 and Windows computers. M.E.

Michael Edwards

Michael Edwards 1968 in England geboren. Oboestudium mit zahlreichen Aufführungen als Solist in Kammermusik- und Orchesterkonzerte im In- und Ausland. Komposition bei Dr. Adrian Beaumont an der Bristol University (BA mit Auszeichnung 1989, MMus 1992). Mit 22 Jahren Unterrichte am Dartington College of Arts; seitdem als Lehrer an Universitäten tätig. 1991 Umzug nach den USA; Studium bei Prof. John Chowning am CCRMA der Stanford University (MA 1993, Doctor of Musical Arts 1996). 1995 Arbeit an dem IRCAM, Paris; Wohnstipendium in der Cité des Arts. 1996-7 Arbeit als Software Spezialist; Eintwicklung eines Dokument Erkennungssystems das von verschiedenen amerikanischen Krankenhäusern verwendet wird. 1997 Umzug nach Salzburg; Gastprofessor für Musik und Internet an der Universität Mozarteum; Lehrender für Algorithmische Komposition, Programmiertechniken, und Web Design; 1997-2000 Verantwortlicher für die Leitung der Web Seite der Universität. Zahlreiche Aufführungen bei vielen internationalen Fesitvals wie The International Computer Music Conference (Banff), Zagreb Biennale, Ex-Machina Festival (Essen), Seoul International Computer Music Festival usw. Stipendien vom ZKM, Karlsruhe, der British Academy, der Stanford Universität wie der Bristol Universität. Seminare und Vorträge in Österreich, Deutschland, Italien und den USA.